Wir erleben gerade, wie Geschichte geschrieben wird. Der "spezielle Regierungsbeauftragte" Elon Musk kontrolliert das Office for Personnel Management der USA, das unter anderem die Akten sämtlicher Kongressabgeordneter bearbeitet, und hat Schreibzugriff auf die Server des Finanzministeriums.

Curtis Yarvin und der Coup

Das hier ist, was der Monarchist Curtis Yarvin als Butterfly Revolution bezeichnet. Über diesen Mann müssten eigentlich weit mehr Worte verloren werden, als es die Kürze der Zeit erlaubt. Denn obwohl Elon Musk vielleicht nicht einmal weiß, wer Yarvin ist, ist dieser Philosoph die ideale Linse, um die aktuellen Geschehnisse zu verstehen.

Ich möchte daher nur zwei kurze Zitate Yarvins präsentieren, die aber, zusammengenommen, die unfassbare Geschwindigkeit, mit der die Vereinigten Staaten gerade dekonstruiert und privatisiert werden, auf ihre Essenz herunterbrechen:

• Erstens: "[Die Revolution] sollte einfach so schnell durchgezogen werden, dass sie ihre Feinde komplett überrumpelt."
• Zweitens: "Man will diese Behörden nicht durch Ernennungen kontrollieren, man will sie finanziell trockenlegen. Man will, dass sie vollständig aufhören, zu existieren."

Das Finanzministerium ist gefallen

Elon Musk hat jetzt sämtliche Steuerunterlagen jedes einzelnen Menschen, jeder NGO, jedes Unternehmens und jeder anderen juristischen Person, die in den USA residiert – das inkludiert seine sämtliche Konkurrenz.

Elon Musk hat die Sozialversicherungsnummern und die Adressen aller US-Bürger*innen, in vielen Fällen auch noch die Krankengeschichte.

Und mir kann niemand erzählen, dass Musk diesen Goldschatz von Datensatz nicht längst an seine AI verfüttert hat.

Mehr noch: Elon Musk und sein nach einer Meme-Cryptowährung benanntes, illegales "Department of Government Efficiency" (DOGE)-Komitee haben offensichtlich nicht nur Lese-, sondern Schreibzugriff auf die Codebasis des Zahlungssystems des Finanzministeriums. Wie das Magazin Wired und der Journalist Josh Marshall unabhängig berichten, soll der 25-jährige DOGE-Ingenieur Marko Elez bereits substantielle Veränderungen am Code der Treasury vorgenommen haben.

Sprache macht Realität

Über die Konten des US-Finanzministeriums fließen sämtliche Renten sowie sämtliche Zahlungen aus Verträgen mit Bundesstaaten, Stiftungen, der Privatwirtschaft und dem Ausland. Die sechs Billionen, die hier jährlich bewegt werden, sind allerdings kein Fiat-Papiergeld, sondern Giralgeld. Die Treasury verschickt keine Umschläge mit Banknoten. Es ist Geld, das ausschließlich in Form von Computercode existiert und keinerlei reale Entsprechung hat außer Vertrauen in die Integrität von Computercode. Giralgeld ist nichts weiter als ein Haufen Einsen und Nullen auf einem Server. Wer die Server kontrolliert, der kontrolliert, wie sich diese Einsen und Nullen verhalten.

Wer die Server kontrolliert, kann aus einer 1,0 eine 1.000.000,0 machen. Wer die Server kontrolliert, kann sämtliche Zahlungen des US-Finanzministeriums anhalten oder umlenken. Wer die Server des US-Finanzministeriums kontrolliert, kontrolliert die Erfüllung sämtlicher Verträge der Vereinigten Staaten – und damit die Realität.

Ich meine damit nicht, dass Elon Musk die Gravitationskonstante ändert. Realität ist mehr als naturwissenschaftliche Fakten. Realität, in aller praktischen Hinsicht, ist die Intersektion zwischen naturwissenschaftlichen Fakten und den sie kontextualisierenden sozialen Fakten. Die Physik baut die Bombe, die Kultur wirft sie ab. Wie viele Rechenschritte pro Sekunde ein Computer durchführen kann, ist Naturwissenschaft. Welche Operationen dieser Computer durchführt, ist völlig willkürlich. Das entscheidet kein Naturgesetz, das entscheiden die Menschen mit Schreibzugriff.

Das Zahlungssystem des Finanzministeriums bildete bisher exakt die Budgetgesetzgebung des Kongress ab – denn der Kongress hat rechtlich gesehen die alleinige Budgethoheit. Nun gibt es allerdings keinen Menschen mehr, der diese Server dazu zwingen könnte, das Geld auch tatsächlich wie vom Kongress vorgesehen zu verteilen, denn David A. Lebryk ist letzten Freitag zurückgetreten und seitdem regiert DOGE.

Das US-Entwicklungshilfeministerium war ganz bewusst das erste Ziel der Übernahme des US-Zahlungssystems. Kurios, dass just dieses Ministerium in "Projekt 2025" als Blaupause für die fundamentale Umwälzung der politischen Ordnung Erwähnung findet. Eine 40-Milliarden-Dollar-Behörde, gegründet und finanziert durch Gesetz des Kongresses, wurde binnen Tagen vollständig demontiert. Seit heute gibt es kein Entwicklungshilfeministerium mehr, steht so auf der Website.

Wer die Codebasis der Treasury kontrolliert, kann das gesamte Budget der NASA an SpaceX umleiten und ganze Ministerien mit einem Fingerstreich vernichten. Genau so schafft man Realität mit nichts weiter als Sprache – Programmiersprache.

Der Status Quo ist vorbei

Musk und sein Team haben sich auch Zugang zum Office of Personnel Management (OPM) verschafft, der Personalabteilung der Bundesregierung, und dort angeblich sogar eigene Server platziert. Chief Financial Officer des OPM Erica Roach ist zurückgetreten. Die Angestellten haben eine Aufforderung erhalten, an Diversity, Equity, Inclusion and Access-Initiativen beteiligte Kolleg*innen aufzulisten.

Das heißt: Elon Musk hat die Personalakten aller Bundesangestellten. Elon Musk hat die Personalakten aller Abgeordneten, denn die gelten als Bundesangestellte. Elon Musk hat vollständigen Einblick in alle regierungsinternen Ermittlungsverfahren, Untersuchungen, Gehaltszahlungen und Compliance-Prozesse.

Musk und DOGE plündern außerdem gerade die Datenbanken von Medicare und Medicaid, also den Regierungsprogrammen, die noch am ehesten einer allgemeinen Krankenversicherung gleichen.

Das heißt: Elon Musk hat die Krankengeschichten und Abrechnungsdaten von etwa 130 Millionen Menschen. Elon Musk weiß, wer transitioniert ist. Elon Musk weiß, wer eine Autismusdiagnose hat. Elon Musk weiß, wer einen angeborenen Herzfehler hat. Elon Musk weiß, wer behindert ist. Elon Musk weiß, wer psychisch erkrankt ist.

Natürlich ist das ein eklatanter Verstoß gegen HIPAA, die gesetzliche Leitlinie zum Schutz der Patient*innen – und weiter? Musk und DOGE sind in Sachen Finanzministerium bereits verklagt und juristisch angeleint, doch das ist witzlos. Selbst wenn drei Dutzend Bundesgerichte Unterlassungserklärungen anordnen – wie möchte die Judikative ihre Urteile denn erfüllt wissen, wenn die Exekutive sich weigert, sie zu vollstrecken? Und das ist, was zu befürchten steht.

Wir sollten uns erinnern, dass Donald Trumps Lieblingspräsident Andrew Jackson ist. Andrew "Indian Removal Act" Jackson, berüchtigt für die entgegen eines Supreme Court-Urteils angeordnete Umsiedlung und ethnische Säuberung zehntausender indigener Einwohner*innen. Andrew Jackson, der in diesem Kontext über den Vorsitzenden des Supreme Court gesagt haben soll: "John Marshall hat sein Urteil gefällt, und jetzt möchte ich sehen, wie er es durchsetzt."

Siehe dazu auch den Artikel beim Volksverpetzer: Trump & Musk: Staatsstreich in den USA & keiner kriegt es hier mit? 
sowie die beiden Artikel vom Autor beim hpd: Die Demokratie stirbt nicht in Finsternis, sie wird am hellichten Tag erdrosselt und: Wo versteckt man einen Baum? Im Wald. Und wo versteckt man eine Verschwörung? über das nun umgesetzte "Projekt 2025"