In knapp vier Wochen findet die Bundestagswahl statt. Auch wenn sozialpolitische Themen und vor allem die Zuwanderungsdebatte den Wahlkampf dominieren, stellt sich doch auch die Frage, welche Positionen die Parteien in Fragen vertreten, die für Säkulare von besonderem Interesse sind. Die hpd-Serie zu den Aussagen der Bundestagswahlprogramme setzen wir mit Bündnis 90/Die Grünen fort.
Einen Abschnitt, der sich mit Religionspolitik befassen würde, gibt es im Grünen-"Regierungsprogramm" nicht. Das ist deshalb besonders interessant, weil die Partei in den vergangenen 30 Jahren immer wieder klare Forderungen nach einer verbesserten Trennung von Staat und Kirche erhoben hatte, zuletzt sehr detailliert im Bundestagswahlprogramm 2021. Davon ist nichts geblieben, außer der Position, "dass selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich außerhalb des Strafrechts geregelt werden". Keine Abschaffung des Paragrafen 166 StGB, keine Ablösung der Staatsleistungen, keine Änderungen beim kirchlichen Arbeitsrecht, keine Reform der universitären Religionswissenschaft, keine Aussage zur Suizidhilfe (obwohl "Selbstbestimmung" ein häufig verwendeter Begriff in dem Papier ist).
Andererseits finden sich auch keine Aussagen mehr über Islamverbände, Staatsverträge oder sonstige Privilegien (nur die Imamausbildung wird erwähnt).
Der Diskurs zum gesamten Themenbereich hat sich vollständig verschoben: Statt gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, möchten die Grünen "eine vielfältige Gesellschaft ohne Diskriminierung" durch Beauftragte, Aktionspläne und andere Maßnahmen erreichen, die in erster Linie Stellen in Sozialarbeit und Verwaltung schaffen: "Mit einem Aktionsplan gegen Islamfeindlichkeit gehen wir gegen die Diskriminierung von muslimischen Menschen vor." Dass der Begriff "Islamfeindlichkeit" in einem gut 60-seitigen Wahlprogramm nicht definiert wird, mag noch angehen, aber warum aus der Ablehnung einer Ideologie (Islam) nahtlos die Diskriminierung von Menschen (Muslime) hervorgehen soll, wäre denn doch erklärungsbedürftig.
Indem Position und Person nicht mehr getrennt gesehen werden, manifestiert sich, dass die Grünen sich in diesem Punkt hinter die Aufklärung zurückbewegen. Diskriminierung erscheint ihnen offenbar nur noch aufgrund von "Identität" möglich und dementsprechend verstehen sie auch "Vielfalt": "Mit der Schaffung der Beauftragten für Antidiskriminierung, Queeres Leben, Antirassismus und Antiziganismus haben wir die politische Stärkung von Vielfalt noch stärker verankert." Dass Konfessionslose unter dieser Perspektive keine Rolle spielen, ist nun nachvollziehbar, denn hier geht es nicht um Identität, sondern um eine weltanschauliche, oft auch politische Entscheidung. Und damit wäre dann wohl auch erklärt, warum im Grünen-Wahlprogramm der Begriff Emanzipation nicht vorkommt.
Das Bekenntnis zur Wissenschaft ist erfreulich unmissverständlich: "Wissenschaftliche Erkenntnisse sind die Grundlage verantwortungsbewusster Politik und es ist zugleich Aufgabe der Politik, die Freiheit der Wissenschaft zu verteidigen." Die Behauptung, "an der Seite der feministischen Protestbewegung im Iran" zu stehen, erscheint mit Blick auf das Treffen mit der iranischen Frauenrechtsaktivistin Masih Alinejad im November 2023 hingegen zumindest fragwürdig.
Hinweis: Nicht alle Parteien hatten zum Zeitpunkt der Analyse bereits die Entwürfe ihrer Wahlprogramme von einem Parteitag bestätigen lassen. Es wurden die Fassungen Stand 12.1.2025 verwendet.
Der hier veröffentlichte Text basiert auf einem umfangreichen Artikel, der in der MIZ 4/24 erscheinen wird. Für den hpd sind die Abschnitte zu den einzelnen Parteien leicht bearbeitet worden, um als Serie erscheinen zu können.
Nachtrag vom 16.02.2025: Der hpd hat etliche Beiträge aus der aktuellen MIZ veröffentlicht, die sich mit den Aussagen einiger Parteien im Bundestagswahlkampf 2025 zu säkularen Themen beschäftigen. Die Information zu Bündnis 90/Die Grünen berücksichtigt nicht den Stand des Bundestagswahlprogramms nach dem Bundesparteitag Ende Januar 2025. Die Drucklegung der MIZ erfolgte bereits zu einem früheren Zeitpunkt, sodass die Änderungen aufgrund der Parteitagsbeschlüsse noch nicht berücksichtigt werden konnten.
Der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Säkulare Grüne ist es zu verdanken, dass eine Reihe von Aussagen zu säkularen Themen nun im Bundestagswahlprogramm enthalten sind. Dabei handelt es sich unter anderem um die Forderung nach einer grundlegenden Reform des kirchlichen Arbeitsrechts mit Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, sodass die Ausnahmeklausel für Betriebe in kirchlicher Trägerschaft gestrichen wird, um eine Weiterentwicklung des Religionsverfassungsrechts, um der "gewachsenen religiös-weltanschaulichen Pluralität gerecht" zu werden und um die Unterstützung der Position der Selbstbestimmung am Ende des eigenen Lebens und über das eigene Ende gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Sterbehilfe), um die Betonung der Bedeutung der zunehmenden Anzahl Konfessionsfreier für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland und um den Schutz von Alevit*innen und Jesid*innen vor strengreligiösen Muslim*innen und Islamisten.
Das Bundestagswahlprogramm enthält zudem eine klare Aussage, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht im Strafgesetzbuch geregelt sein sollten, eine freiwillige Beratung schwangerer Frauen durch einen gesetzlichen Anspruch auf Beratung durch Stellen in "vielfältiger Trägerschaft" zu stärken und das Angebot an Beratungsstellen auszudehnen; eine Wartefrist zwischen Beratung und Abtreibung lehnt Bündnis 90/Die Grünen ab.
"Gefahren für die Demokratie" gehen laut Bundestagswahlprogramm sowohl vom Rechtsextremismus als auch vom Islamismus aus. Es wird eine frühzeitige Prävention gefordert, um Radikalisierungen zu verhindern, dabei soll über Rechtsextremismus und Islamismus im "analogen und digitalen Raum" aufgeklärt werden.
Mehr dazu in der Veröffentlichung der BAG Säkulare Grüne.
Siehe dazu auch: